Arbeiten und Kunstwerke von Moritz Götze
SWG Kunstlexikon
Moritz Götze
VIDEO
Galerie Cyprian Brenner | Niederalfingen | Moritz Götze | „SCHÖN“ (06. Juni – 29. August 2021)
Galerie Cyprian Brenner | Schwäbisch Hall | „LET’S DATE ART“ | (27. März – 25. Juli 2021)
Moritz-Götze-Austellung „Lorbeeren für Schadow“ eröffnet
Deutscher Bundestag
Manfred Krug bei Ausstellungseröffnung von Moritz Götze in Neuruppin
Überzeugungen sind Gefängnisse (Nietzsche: Der Antichrist, § 54) — Rüdiger Giebler & Moritz Götze
Biografie
1964 geboren in Halle
1983 – 1986 in mehreren Berufen tätig
1986 freischaffend als Maler und Grafiker in Halle, Aufbau einer eigenen Grafikwerkstatt
1991 – 1994 Lehrauftrag für Serigraphie an der Hochschule Burg Giebichstein, Halle
1994 Gastprofessur für Serigraphie an der École nationale supérieure des beaux arts, Paris
1994 – 1995 keramischen Wandgestaltung für den Lichthof des Messehauses Specks Hof, Leipzig
1996 Kunstförderpreis des Landes Sachsen-Anhalt
1997 Grafikpreis der Vereinigten Zigarettenfabriken Dresden
1999 gemeinsames Buch mit Manfred Krug „66 Gedichte, was soll das“; Kunstpreis der deutschen Volksbanken und Raiffeisenbanken
2000 Gestaltung des Erscheinungsbildes für die Leipziger Buchmesse
2008 Bühnenbild für den „Hamlet“ im Neuen Theater Halle
2009 Tintenwurf-Aktion mit Bazon Brock, Wartburg Eisenach, Lutherzimmer
2012 Erste große Werkschau in den USA, Rourke Art Museum Moorhead
2013 Auftrag für die künstlerische Ausgestaltung der Schlosskirche St. Aegidien, Bernburg
Auszeichnungen
1996 Kunstförderpreis des Landes Sachsen-Anhalt
Ausstellungen
Einzelausstellungen (Auswahl)
2021 SCHÖN, in der Galerie Cyprian Brenner Niederalfingen
2020 GLAUBE, LIEBE, HOFFNUNG, in der Galerie Cyprian Brenner Augsburg
2014 Bilder machen Schule, Kunsthalle Rostock
2014 Deutsches Generalkonsulat, New York
2013 Schönheit und Untergang, Ostholsteinmuseum Eutin
2012 Moorhead/MS, Rourke Museum
2011 Museum Schloss Burgk, Burgk
2011 Galerie Alte Schule, Ahrenshoop
2011 Frank-Loebsches Haus, Landau/Pfalz
2010 Kunstverein Wetzlar, Wetzlar
2009 Lentos Kunstmuseum Linz
2009 Neue Sächsische Galerie, Chemnitz
2009 Männer und Taten, Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder (Katalog)
2009 Scapa Flow, Stiftung Schloß Neuhardenberg (Katalog)
2007 Saarland Museum – Saarbrücken
2005 Lindenaumuseum, Altenburg
2004 Der zweite Planet, SüdWestGalerie, Hüttlingen-Niederalfingen (bei Aalen)
2004 Kunstmuseum Kloster zu unser lieben Frauen Magdeburg, Magdeburg
2002 Kunstverein Friedrichshafen, Friedrichshafen
2002 Kunsthalle Osnabrück, Osnabrück
2002 Kunstverein Rügen, Puttbus/Rügen
2001 Stadtmuseum Limburg
1999 Stadtmuseum Dresden
1995 Staatliche Galerie Moritzburg Halle
1995 Kunstverein Würzburg
1994 Museum für Kunst & Handwerk (Plakate), Hamburg
1994 Kunsthaus Dortmund
1993 Albrechtsburg Meißen
1992 Lindenau Museum Altenburg, „Der Prinzenraub“
Ausstellungsbeteiligungen (Auswahl)
2018 GRAND TOUR zusammen mit Rüdiger Giebler, Galerie Cyprian Brenner Schwäbisch Hall
2013 Hier stehe ich, Staatliches Museum Schwerin
2013 4 x Götze, Kunstkaten Ahrenshoop
2013 Gewissheit. Vision, Museum Franckesche Stiftungen, Halle
2011 Halleluhwah! Hommage á CAN, Künstlerhaus Bethanien, Berlin
2011 Friedrich Häcker – Leben und Mythos, Badisches Landesmuseum, Karlsruhe
2011 Spektrale, Mainz
2010 Luise. Leben und Mythos der Königin, Schloß Charlottenburg, Berlin
2010 Sachsen am Meer, Geraer Kunstsammlung, Gera
2009 Neue Sächsische Galerie, Chemnitz
2009 Temporäre Kunsthalle Berlin
2009 Stiftung Schloss Neuhardenberg
2008 Märkischer Sand, Kunstmuseum Deiselkraftwerk Cottbus
2008 Anhaltinische Gemäldegalerie Dessau
2006 „Was ist deutsch?“, Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
2005 Museum Junge Kunst, Frankfurt / Oder
2004 Signal SüdWest, SüdWestGalerie, Hüttlingen-Niederalfingen (bei Aalen)
2003 „Wahnzimmer“, Museum Folkwang, Essen
2003 New York University, New York
2002 „Wahnzimmer“, Museum der Bildenden Künste, Leipzig
2002 Bundeskanzleramt, Berlin (Kunst aus den neuen Bundesländern)
2002 Museum Folkwang, Essen
2002 Sprengelmuseum, Hannover
2002 Museum der Bildenden Künstle, Leipzig
1997 „Bohéme und Diktatur“, Deutsches Historisches Museum, Berlin
1995 „De Gemartelde Tijd“, Leuven (Belgien)
1994 „Bekömmlich“, Kunsthaus Hamburg
1992 „Zwischen den Seiten“, Brandenburgische Kunstsammlung, Cottbus
Werkbeschreibung Moritz Götze
Moritz Götze – STARK & SCHÖN
Galerie Cyprian Brenner Schwäbisch Hall
12. April bis 24. Mai 2015
Rede zur Ausstellungseröffnung am 12. April 2015
© Dr. Sabine Heilig, Nördlingen, im April 2015
Sehr geehrte Damen und Herren,
lieber Moritz Götze,
„Stark & Schön“, heißt der Titel von Moritz Götzes neuer Ausstellung hier in der Galerie Cyprian Brenner in Schwäbisch Hall – im zeitgenössischen Kontext denkt man dabei möglicherweise an unsere medialen „Helden“ und ihre Geschichten, die die vermeintlich Starken und Schönen in Film und Fernsehen für uns „normale“ Menschen interessant machen. Elektronisch, digital, inter-aktiv – die Medien sind die Kommunikationssysteme schlechthin, vor allem seit der Existenz des world wide web. Jedes noch so kleine Ereignis, jedes noch so banale Bild geht in Sekunden-schnelle um die Welt.
Damals, vor 250, vor 100, selbst vor 50 Jahren, war das noch anders. Man schrieb etwas auf und versandte Briefe, man telegrafierte oder telefonierte (noch von einem Platz aus), wenn es schnel-ler gehen sollte. Daneben waren die visuellen Bilder schon immer ebenfalls wichtige Informations-träger. So gab es bereits in der Renaissance einen lebhaften Bildnisaustausch zwischen den Fürstentümern, man verschickte gemalte oder gedruckte Porträts des heiratsfähigen Nachwuch-ses.
Aus heutiger Sicht war das wenig erquicklich, weil langwierig und mit Enttäuschungen verbunden: im schlimmsten Fall bekam man die Katze im Sack.
In der Malerei gibt es Ansichten von tatsächlichen Ereignissen, von historischen Begebenheiten, Festen oder aktuellen Geschehnissen mit einigen wenigen Ausnahmen erst seit dem 17. Jahr-hundert und klammern wir die christliche Historie (die Geschichten aus der Bibel) aus. Die Histo-rienmalerei war damals so etwas wie das visuelle Gedächtnis der jeweiligen Generation und blieb bis weit ins 19. Jahrhundert hinein auch die an den Akademien bevorzugte malerische Gattung. Vor allem politische Ereignisse und die Glorifizierung von Heldentaten der Fürsten und Feldherren waren zur Darstellung gefragt, besonders im 18. Jahrhundert, während des Absolutismus und noch einhundert Jahre später in der Zeit der Nationalstaaten. Die Kunst, respektive die Malerei diente der Idealisierung einer Person oder eines Geschehens, sie hatte eine politische Funktion.
Als General George Washington während des amerikanischen Unabhängigkeitskrieges in der Nacht vom 25. auf den 26. Dezember 1776 in einem Boot mit einigen mutigen Männern den Fluss Delaware überquerte, gelang ihm damit ein Überraschungsangriff, der die Schlacht bei Trenton zugunsten der Unabhängigkeitskämpfer entschied. Der Weg war damit geebnet für die Gründung der Vereinigten Staaten von Amerika. „Washington crossing the Delaware“ heißt das berühmte Gemälde des deutsch-amerikanischen Historienmalers Emanuel Leutze (1816-1868) aus dem Jahr 1856 (der übrigens unweit von hier in Schwäbisch-Gmünd geboren wurde). Leutze hat die-ses für die Amerikaner so wichtige, patriotische Ereignis in monumentaler Größe mit viel Pathos gemalt (378,5 x 647,7 cm). Es gehört zur nationalen Ikonographie der USA und befindet sich im Metropolitan Museum of Art in New York sowie in einer weiteren Fassung im Weißen Haus in Washington.
Hier in der Galerie Cyprian Brenner haben Sie die Gelegenheit, eine zeitgenössische Variante dieses Historienbildes in Emaille-Malerei zu sehen. Ausgeführt von dem Maler, Grafiker, Bühnen-bildner, Bildhauer, Historiker, Musiker und Sammler Moritz Götze.
Entschlusskraft und Kampfgeist sowie der unbedingte Wille zum Siegen – George Washington und seine Gefährten verweisen symbolhaft auf eine menschliche Eigenschaft, auf Stärke, die zu Überlegenheit und Erfolg führen kann. Von diesem inhaltlichen Bildgehalt ausgehend hat Moritz Götze, der Maler aus Halle an der Saale, seine Paraphrase als Gegenüberstellung von Vergan-genheit und Gegenwart angelegt. Das Boot mit dem in Fahrtrichtung nach vorne blickenden tapfe-ren Helden scheint kein Ziel zu haben. Sein Blick geht ins Leere, kein Ufer ist erkennbar. Das Ziel, wohin es gehen soll, ist nicht zu sehen. Die Männer im Boot stochern mit ihren Rudern im Nichts. Ein Begleiter sitzt vor einem geöffneten Laptop, der ebenfalls keine Hilfe zu sein scheint. Der Steuermann am Außenbordmotor mit Stahlhelm und Epauletten besetzter Uniform wirkt ratlos. Die in Leutzes Bild ebenfalls vorhandenen Eisschollen im Wasser wirken bei Götze hart wie Fel-sen, wie unüberwindliche Hindernisse. Götze hat das Motiv in der Technik der Emaille-Malerei umgesetzt, eigentlich ein ungewöhnliches Mittel in der zeitgenössischen Kunst. Bei Moritz Götze jedoch ist das stimmig. Vor 20 Jahren hat er die traditionsreiche Muldenthaler Emaillefabrik Penig vor den Toren von Chemnitz entdeckt und arbeitet seitdem mit ihr zusammen. Das Kunstwerk aus Emaille ist seither auch eine geeignete Technik für Kunst am Bau-Arbeiten und Werke für den öffentlichen Raum (Aktuell stattet er die Bernburger Schlosskirche St. Ägidien mit wandfüllenden Emaille-Kompositionen aus, ein monumentales Lebensprojekt, dessen Ende noch nicht absehbar ist).
Götzes Vorliebe für Vergangenes, sein Hang zur Historie und zur Tradition trägt dieser alten Technik Rechnung. Er grabe Quellen aus und bereite sie auf, heißt es über ihn (Kristina Hoge, in Kat. Dt. Kunst, 2012, S.9). Von einer „renovierten Historienmalerei“ ist die Rede (Karin Thomas, in: Bildersaal dt. Geschichte, 2004, S. 6) oder von einem „Patchwork Historienmaler“ (Rüdiger Gieb-ler, in: Aus meinem Leben, VOL.2, 2014, S. 16). Im Falle des Gemäldes von Washingtons glorrei-cher Tat im ausgehenden 18. Jahrhundert verwandelt sich die nationale Ikone durch Götzes Neu-fassung („Die Überquerung“, 2012) zu einem neuzeitlichen Symbol für Freiheit und Unabhängig-keit. Zugleich schwingen in ihr eine gewisse Skepsis und Zurückhaltung über das Ende der Ge-schichte mit, bezogen auf die heutige Zeit. Wird es ein Happy End geben?
Moritz Götzes Werk steckt immer voller Anspielungen. Er greift die historische Vorlage auf und versetzt sie mit aktuellen Motiven, bringt damit eine neue Bedeutungsebene ins Spiel. Die Bilder, auch Stellungnahmen der eigenen Situation, werden dadurch verallgemeinert. Die Verschränkung von gestern und heute, der vorhandenen Vorlage mit der Situation der Jetztzeit, ist mittlerweile zu einem Erkennungszeichen geworden und zu einem rhetorischen Mittel seiner Kunst. Götze ver-setzt seine Rezeptionen mit Metaphern, ironischen Verweisen, mit Symbolen, Allegorien, Personi-fikationen.
„SCHÖN“ heißt es in roten Versalien über einer Bühne von antiken Versatzstücken, die wie bei-läufig durcheinandergewürfelt angeordnet sind (2013): Der Apoll vom Belvedere, der Teil einer dorischen Säulenordnung, ein Stück des Forum Romanum und das Pantheon in Rom, die Akro-polis in Athen, ein Tempel Palladios, ein riesiger Pferdekopf sind zu sehen. Im Vordergrund befin-det sich ein aufgeklappter Laptop, eine geöffnete Blechdose, eine aufgeschlagene Zeitung und sonstiger Krimskrams, Symbole unserer Zeit. Und mittendrin bzw. gleichzeitig davor liegt – wie hingegossen – eine schöne junge blonde Frau in kurzem rot-weiß gestreiften Kleid auf einer Art Chaiselongue, so als ob sie mit ihrer selbstbewussten, lässigen Haltung sagen wollte: Seht her, da komme ich her und das bin ich jetzt.
Götzes Weg zur Antike – und zurück (so der Titel eines Aufsatzes im Ausstellungskatalog SCHÖNHEIT & UNTERGANG, 2013) erfolgte auch über die Beschäftigung mit der Kunst des Klassizismus. Die Umsetzung antiker, mythologischer Themen eröffnet dem Künstler wieder ein neues Feld – ein Zeitalter, in dem – vor allem die Göttinnen und Götter – „SCHÖN & STARK“ wa-ren. Der Prototyp der antiken Schönheit ist Venus (oder Aphrodite), zu der es in dieser Ausstel-lung gleich drei Paraphrasen aus unterschiedlichen Epochen gibt: nach einem manieristischen Gemälde von Angelo Bronzino (1540-45/ 2012), nach Lucas Cranach (Renaissance, 1509/ 2012) und einem klassizistischen Bild von François Gérard (2013), in allen Zeiten Schönheitsideale, die sich an der ausgewogenen Proportionalität und Harmonie des weiblichen Körpers orientieren.
Doch Götze stellt auch die Frage nach der moralischen Schönheit. Zeiten des Umbruchs und der Revolutionen finden sein besonderes Interesse. Das mag vielleicht daran liegen, dass er selbst von solchen Ereignissen geprägt wurde. 1964 im sozialistischen Deutschland geboren und auf-gewachsen in einem intellektuellen Elternhaus, in dem die Kultur und Tradition freiheitlichen Den-kens trotz der Anfeindungen des DDR-Regimes immer hoch gehalten wurden. Die Möglichkeit, sich mit der Welt von Büchern zu beschäftigen, nutzte Moritz Götze schon als Kind, verschlang Erzählungen und Bildbände in der hauseigenen Bibliothek. Die Liebe zum Buch hat ihn nie losge-lassen. Seit 2005 veröffentlicht er im eigenen Verlag (Hasenverlag, Halle/Saale, mit seinem Freund Peter Gerlach gegründet) Publikationen zu seinem Leben und Werk, Bücher über Kunst, zu Geschichte und Politik, Heimatliteratur, Kinderbücher und noch einiges mehr. Und dass er mit gerade mal 50 Jahren 2014 bereits seine zweite, diesmal sechs Zentimeter dicke und 735 Seiten starke Monografie unter dem Titel „Aus meinem Leben, VOL.2“ herausgegeben hat, verwundert angesichts seiner enormen Schaffenskraft nicht (1992 erschien die erste Monografie).
„Moritz Götze ist selbst eine Fabrik, eine Bilderfabrik“, haben Freunde über ihn gesagt (Rüdiger Giebler/Peter Lang, Kat. Nationalgalerie, S. 123), und – Moritz Götze ist auch eine Ideenfabrik, „Die Bilder sind sein Tagebuch, die Ausstellungskataloge die Jahresbände“ (Rüdiger Giebler, in VOL.2, S. 18). „Und es wird nie langweilig. Immer wenn man denkt, jetzt fährt sich das Ganze fest, die Figuren erstarren, die Bühne friert ein, dann kommt ein Bruch, ein neues fettes Thema, neue Hilfsmaschinen, neue Komparsen“ (ebenda).
Der Stil: – Deutscher Pop
„Historienbilder-Popart“, noch so ein Begriff für Götzes Werk (Giebler, VOL.2, S. 12). Formale Vereinfachung, Typisierung der Figuren, plakative Großflächigkeit und kontrastreiche, poppige Farben kennzeichnen seinen malerischen Stil. Bis zur Wende 1989 war dies verdächtig, weil vermeintlich westlich orientiert. Sein Vater Wasja Götze, einer der wenigen Popart Maler in Ost-deutschland, bezahlte dies mit einem jahrzehntelangen Ausstellungsverbot. Heldenhaft diese Un-beugsamkeit, das Festhalten am eingeschlagenen Weg, das Weiterführen von Bildprogrammen, die sich mit viel Hintersinn dem offiziellen Kunstdiktat entgegenstellten.
Das großformatige Triptychon mit dem Titel „Ahrenshoop“ (2013) spielt Jahre nach dem politi-schen wie auch persönlichen Umbruch auf dieses Leben zwischen den Regimen an. Für Moritz Götze bedeutet das 25 Jahre Existenz hinter dem Eisernen Vorhang, mittlerweile 25 Jahre im wiedervereinten Deutschland. Hüben wie drüben – eine ambivalente Empfindung in der Rück-schau.
Ebenso doppelsinnig ist dieses Gemälde. Götze malt sich und seine Familie am Strand im Ost-seebad Ahrenshoop, wo sich Ende des 19. Jahrhunderts eine Künstlerkolonie zusammenfand. Der malerische Ort war häufiges Urlaubsziel in Kindertagen. Und so verknüpft der Maler in die-sem Familienbild zwei Generationen: seine eigene mit der seiner Eltern. Wir können uns Moritz und Grita mit ihren Kindern am Strand vorstellen, aber gleichzeitig auch Wasja und Inge mit Mo-ritz und Nele.
Wie in DDR-Zeiten üblich zelebrierte man FKK-Baden, alle sind nackt. Die junge Frau sitzt auf-recht und raucht eine Zigarette. Der Mann davor präsentiert sich lässig hingelegt mit aufgeschla-gener Zeitung, die Tochter liegt bäuchlings lesend auf einem gestreiften Handtuch. Im Wasser spielt der Sohn mit Matrosenmütze mit einem kleinen Segelschiff. Die idyllisch anmutende Szene der Mitteltafel ist, wie immer bei Götze, von unterschiedlichstem Beiwerk umgeben: einem rau-chenden Holzfeuer, einem Transistorradio, diversen Flaschen und Treibgut, Müll. Im Hintergrund erhebt sich malerisch die Steilküste.
Der linke Flügel des Triptychons zeigt ausschnitthaft das Ufer vom Wasser aus gesehen. Im Sand der Bug eines hölzernen Bootes („AHR 19“), dahinter eine Gruppe roter, wie beiläufig abgestellter Flaggen und abgelegte Bojen, weiter hinten eine Art Warnschild, die Aufschrift ist nicht zu entzif-fern. Ganz hinten recht ein mehrstöckiges Gebäude. Am Strand fallen wieder die unterschied-lichsten Requisiten auf, vor allem das zerbrochene Fortunahorn als Sinnbild für die verlorene Hoffnung. Die ganze Szenerie wirkt verlassen, wie plötzlich aufgegeben. Hier muss erst aufge-räumt werden, bevor es wieder weitergehen kann.
Im rechten Flügel herrscht die gleiche Überfülle an Motiven, doch fällt im Vordergrund ein toter Tierschädel ins Auge, ein Symbol für die Vergänglichkeit. Im Hintergrund erkennt man einen Zaun, einen Überwachungsturm mit Scheinwerfer und gelbem Lichtkegel, Sinnbilder für die DDR-Zeit. Diese Seite des Bildes steht für das Damals, die linke für das Heute. Moritz Götzes Familienbild am Ostseestrand wird damit unvermutet zu einer Positionsbestimmung zwischen den beiden Staaten. Sentimentalität? – nein, hier ist weder das eine schlecht, noch das andere gut. Um eine wie auch immer geartete Abrechnung geht es Moritz Götze nicht. „Alles besitzt eine unantastbare Aura, nicht nur die handelnden Personen, auch die Requisiten“, schreibt Rüdiger Giebler treffend (VOL.2, S. 14), eine Stimmung jenseits von Kritik und Polemik.
„STARK & SCHÖN“, dazu fällt mir noch etwas ganz anderes ein:
„Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“, singt Pippi Langstrumpf – ein unangepasstes, mutiges Wunderkind voller verrückter Ideen und unbändiger Kraft. Diese Heldin würde auch zu Moritz Götze passen. Dessen Bildergeschichten, die er sich ebenso macht, wie sie ihm gefallen, erzäh-len von starken Persönlichkeiten, besonderen Ereignissen, vom menschlichen Leben und verbin-den es mit der Magie der Dinge. Nicht ganz unähnlich haben das die Maler der Neuen Sachlich-keit in den Zwanziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gemacht. „Die Dinge sehen, wie sie sind“, nannte es Otto Dix und der Maler Ernst Thoms sprach davon, sie hätten damals „von innen nach außen“ gemalt, Seelenbilder also.
Treibgut der Geschichte sein, sich vom Fluss des Lebens leiten zu lassen, fällt dem Künstler und leidenschaftlichen Sammler Moritz Götze nicht schwer. Sein Sinn für das Banale, Alltägliche, das Abgelegte findet sich schon in der Kindheit. Zigarettenschachteln, Blechschilder, Schallplatten, Bücher über Natur und Geschichte, böhmische Volkskunst und vieles mehr sammelt Götze seit langem, geleitet von der Ehrfurcht über die Herkunft und Bestimmung der gesammelten Stücke. Für ihn sind sie „Erinnerungsprotokolle“ (Karin Thomas, in: Bildersaal deutscher Geschichte, 2004, S. 6). Sie werden immer wieder herausgezogen und als Ideenschatz verwendet.
Im letzten Jahr hat sich Götze zum 50. Geburtstag, den er mit zwei großen Ausstellungen in sei-ner Heimatstadt im Kunstforum sowie im Kunstmuseum Moritzburg gefeiert hat, auch mit der Re-liquiensammlung des Kardinals Albrecht von Brandenburg in Halle beschäftigt. Dieser hatte ein-fachste Dinge, Knöchelchen, Holzsplitter und andere Banalitäten als Gegenstände religiöser Ver-ehrung gesammelt und diese in kostbar verzierten Schreinen aufbewahrt. Diese Diskrepanz zwi-schen Sein und Schein war für Götze Anlass, eigene „Reliquien“ mit Buntstiftzeichnungen zu kombinieren. Einige dieser Objektcollagen sehen Sie hier in Schwäbisch-Hall (Titel der Serie „Kosmischer Staub“). Die Gegenstände bekommen dabei im Kontext mit den Zeichnungen eine völlig neue Bedeutung – ähnlich den ready mades von Marcel Duchamp, jedoch nicht mit der sel-ben Provokation wie damals, vielmehr mit Esprit und Hintersinn und manchmal mit einer ironi-schen Note.
Fazit
„Moritz Götze ist berühmt geworden für die Grundsanierung des tragisch grundierten, von Selbstmitleid imprägnierten und von Schuldgefühlen durchsäuerten Geschichtsbildes der Deut-schen. Er hat die Historie von ideologischen Verfärbungen gereinigt, vom Tiefgang befreit und lässt sie im heiteren Glanz erstrahlen. Seine obsessive, frivole und subversive katholische Sin-nen- und Sammellust stimuliert ihn dabei.“ Dieses Urteil des für seine Forschung zur Ostdeut-schen Kunst bekannten Kunsthistorikers Eckhart J. Gillen (geb. 1947) bringt es auf den Punkt. Götze macht wieder Lust auf Geschichte!
Vor einigen Tagen (4.4.15) äußerte sich der Künstler im Deutschlandradio im Gespräch über sei-ne aktuelle Ausstellung in der Kunstsammlung in Jena. Dort erinnert man dieses Jahr an die deutsche Frühromantik. Die Universitätsstadt Jena wurde in den Jahren vor 1800 zum Ausgangs-punkt einer neuen literarischen Bewegung. Das legendäre Jenaer Romantikertreffen im Herbst 1799 sollte ein bedeutsames Ereignis für die moderne Literatur und Kunst, ja für das kulturelle Leben Europas werden.
Moritz Götzes Jenaer Ausstellung antwortet künstlerisch auf das Themenjahr. Sie ist eine Mi-schung aus Gemälden, Zeichnungen, Texten und Musik. So nahm Götze die umfangreiche deut-sche Volksliedsammlung „Des Knaben Wunderhorn“, die Clemens von Brentano und Achim von Arnim zur damaligen Zeit zusammengestellt hatten (1805-08), zum Anlass, acht zeitgenössische Musikbands zur Neubearbeitung einiger dieser Lieder zu animieren. Das Ergebnis ist eine unge-wöhnliche Schallplatte mit Musik von Punk bis Schlager mit den alten Liedtexten (ein paar wenige Exemplare sind in der Galerie erhältlich).
Gemeinsam mit den Romantikern hat Moritz Götze wohl die Seelenlage, so ist in dem Interview herauszuhören: die Vermischung der Gattungen – Götzes universalistischer Ansatz, der Hang zur Ironie – seine Verfremdung der Dinge im Kontext, die Verschmelzung der Erkenntnisebenen – in seiner Gegenüberstellung von einst und jetzt, oder auch der Gedanke an die Sehnsucht – die in vielen seinen Werken zu spüren ist, eine Sehnsucht nach Wahrheit, und letztlich auch die Melan-cholie, weniger die Traurigkeit als die Nachdenklichkeit über das Dasein, über das eigene Le-bensmodell als Kunstwerk.
„STARK & SCHÖN“, die Welt des Moritz Götze ist ein Gesamtkunstwerk voller Überraschungen. Er und sein Schaffen sind aus der Kunstwelt nicht mehr wegzudenken und längst hat er sich ei-nen Platz im Kunst-Olymp ergattert.
In diesem Jahr stellt er noch große Skulpturen im Park von Schloss Branitz, dem Sitz des Fürsten Hermann von Pückler-Muskau (1785-1871) auf. Darüber hinaus ist er aktuell auf der Wartburg anlässlich einer Ausstellung zum 500. Geburtstag von Lucas Cranach d.J. vertreten und reiht sich in die Who-is-who-Liste international gefeierter Künstler ein, die Klaus Staeck (geb. 1938), der Präsident der Akademie der Bildenden Künste in Berlin, im Jubiläumsjahr seiner bekannten Editi-on zu einer Ausstellung in die Akademie am Pariser Platz eingeladen hat:
Moritz Götze zwischen Joseph Beuys und Gerhard Richter.
Na, was dann noch kommen wird?
Wir sind sehr gespannt!
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit!
SAMMLUNGEN
DEUTSCHLAND
Germanisches Nationalmuseum, Nürnberg
Sprengel Museum Hannover, Hannover
Badisches Landesmuseum, Karlsruhe
Lindenau-Museum Altenburg, Altenburg
Deutsches Historisches Museum – DHM, Berlin
Ephraim-Palais – Stadtmuseum Berlin, Berlin
Haus der Geschichte Bonn, Bonn
Kunstmuseum Dieselkraftwerk Cottbus, Cottbus
Kupferstich-Kabinett, Dresden
Angermuseum Erfurt, Erfurt
Museum Junge Kunst, Frankfurt/Oder
Zeppelin Museum, Friedrichshafen
Franckesche Stiftungen, Halle, Saale
Stiftung Moritzburg – Kunstmuseum des Landes Sachsen-Anhalt, Halle, Saale
MKG – Museum für Kunst und Gewerbe Hamburg, Hamburg
Kunstmuseum Kloster unserer lieben Frauen Magdeburg, Magdeburg
Stadtmuseum Nördlingen, Nördlingen
Klingspor Museum, Offenbach
Staatliches Museum Schwerin, Schwerin
USA
Indiana University Art Museum, Bloomington, IN
The Rourke Art Gallery & Museum, Moorhead, MN
Texte Moritz Götze
Moritz Götze zählt seit langem zu einem der größten Pop-Art Künstler Europas, welcher mit seinem comicartigen Malstil seine ganz eigene, unverwechselbare Handschrift besitzt. Wer Moritz Götze kennt, der weiß auch, dass der erste Schein seiner Arbeiten trügt. Die harmlos-plakativ wirkende Pop-Art Fröhlichkeit ist mit Anspielungen bespickt, die meist nicht auf den ersten Blick zu entdecken sind. Diese erwecken die Neugierde und Vorstellungskraft zum Leben. Er greift Vorlagen aus der historischen, kunsthistorischen oder auch der modernen Welt auf und versetzt sie mit allerlei bekannten Motiven und erschafft dadurch neue Bedeutungsebenen. Die Arbeiten in Öl auf Leinwand, seine zahlreichen Emaillemalereien und Serigrafien zeigen Verschränkungen von Historischem und Gegenwärtigem, er versetzt seine Rezeptionen mit Metaphern, ironischen Verweisen, mit Symbolen, Allegorien und Personifikationen.
Zeiten des Umbruchs und der Revolutionen finden sein besonderes Interesse. Das liegt unter anderem daran, dass er selbst von solchen Ereignissen geprägt wurde. Er wurde 1964 im sozialistischen Deutschland geboren und ist dort in einem intellektuellen Elternhaus aufgewachsen, in welchem Kultur und Tradition freiheitlichen Denkens trotz der Anfeindungen des DDR-Regimes immer hoch gehalten wurden.
Das spiegelt sich auch in seiner Arbeit „Epizentrum“ wieder. Im Hintergrund Qualm, Zerstörung, Teile eines Gemäuers, eine zerstörte Bronzeskulptur, Teile eines Zauns und Munition einer Waffe. Im Vordergrund verkörpert dagegen eine gut betuchte, edel gekleidete Dame mit Hut die Schönheit, welche eher Fehl am Platz wirkt. Sie hält mit ihrer surreal wirkenden, eleganten Art andächtig inne, schaut aus den Winkeln auf die Zerstörung hinter sich und fasst sich dabei mit einer Hand an die Brust. Die Quadriga und die Gebäudestücke könnten Teile der Berliner Mauer, ja sogar des Brandenburger Tores sein. Absperrungen und Stacheldraht verweisen auf die ehemalige Grenze zwischen Ost und West. Moritz Götze erzählt hier eine Geschichte, ein Drama, und positioniert dennoch etwas Schönes und Positives direkt im Vordergrund. Die Katastrophe liegt in der Vergangenheit, etwas Neues und Schönes in der Zukunft: Hoffnung, Glaube und Liebe.
Des Weiteren zitiert Moritz Götze regelmäßig die Werke alter Meister wie Cranach, Raffael, Philipp-Otto Runge oder inszeniert Persönlichkeiten wie Martin Luther, Goethe und Lenin direkt im Bildgeschehen. In einer Ausstellung 2018 im Schadow-Haus Berlin näherte er sich künstlerisch ganz besonders dem Bildhauer Schadow, der das klassizistische Brandeburger Tor schuf, welches seit jeher für unsere politische und gesamte deutsche sowie europäische Geschichte von Bedeutung ist. Bei Moritz Götze wird symbolhafte Geschichte in einen neuen Kontext gesetzt. Die Leidenschaft für das Erzählen spiegelt sich in seinen reichhaltigen, anklagenden, aber auch ironisch-humorvollen Bildkompositionen wieder. Auch wenn die dargestellte Umweltverschmutzung, der Zerfall und die Ergebnisse von Krieg und Zerstörung uns kritisch stimmen sollen, so lässt sich ein Schmunzeln beim Anblick eines pinken Bambis in der Arbeit „Hoffnung Glaube Liebe“ nicht vermeiden. Zudem verweist der Titel doch auf die durch den Apostel Paulus herausgehobenen christlichen Tugenden, die unsere Gesellschaft in Zeiten wie diesen benötigt.
Konvention und ihr Bruch, Zitat, Paraphrase und Neuschöpfung, Symbol und Realität: Das Zusammenspiel all dieser Komponenten macht die Kunst von Moritz Götze unverwechselbar und lädt immer wieder zum Staunen und Rätsel lösen ein. (M.Umlauf, GCB Kunstmagazin November 2020)
STICHWORTE
farbintensive Werke, Motive mit starker, lebendiger Präsenz, grafisch-linearer Stil, ikonische Porträts